Eine Prothese als Beinersatz – eine Einschränkung im Leben?

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Jährlich werden in Deutschland ca. 50.000 bis 70.000 Menschen amputiert. Davon etwa 40.000 bis 60.000 an den unteren Extremitäten des Körpers, sprich den Beinen. Das hat die verschiedensten Gründe. Sowohl Unfälle als auch arterielle Durchblutungsstörungen können die Ursache für ein amputiertes Körperteil sein. Auf Wunsch erhalten die Betroffenen eine ersetzende Prothese für das fehlende Körperteil. Doch kann dieser kosmetische Ersatz tatsächlich als Äquivalent für ein Bein oder einen Arm dienen?

Eines ist klar: Man muss sich mit einer Prothese abfinden, sie akzeptieren und lernen, mit ihr zu leben. Das fällt insbesondere Unfallopfern nicht immer leicht, da ein solch plötzlicher Schicksalsschlag auch die selbstbewusstesten Menschen aus dem gewohnten Leben reißt. Plötzlich ist das Leben, wie es zuvor geführt wurde, nicht mehr möglich. Gerade aus diesem Grund wird für die Patienten gleich nach dem Erhalt ihrer prothetischen Versorgung eine psychosoziale Begleitung angeboten, die ihnen nicht nur beim Training im Umgang mit dem ungewohnten Ersatz helfen soll, sondern ihnen zusätzlich auf ihrem Weg zur Zurückerlangung ihres Selbstbewusstseins eine Stütze sein soll.

Eine Prothese zu akzeptieren, ein kaltes lebloses Stück Carbon anstelle eines Beins aus Fleisch und Blut mag keine leichte Aufgabe sein, ist jedoch wünschenswert für jeden Prothesenträger. „Das ist nichts, was unmöglich ist“, sagt auch Sven Merckens, der im Alter von 20 Jahren seinen Unterschenkel verlor. Die meisten sehen ihm seine Behinderung vermutlich gar nicht an, was nicht nur an der Jeans liegt, die seine Prothese überdeckt.

Sven ist sportlich aktiv, selbstbewusst, redselig und auch den Humor hat ihm die Amputation, die ihm einen Behindertenausweis eingebracht hat, nicht genommen. Er arbeitet als IT-Techniker für verschiedene Firmen.
Bei einem Termin im Verlag um die Ecke, wo er die Rechner wartet, hat er uns seine Geschichte erzählt.

Interview

a52 // Sven, du hast deinen Unterschenkel infolge eines Unfalls verloren und trägst an dessen Stelle nun eine Prothese. Was ist damals passiert?
Sven
// Ich war zu der Zeit als Ferienjobber in einem Betrieb tätig. An einem meiner Arbeitstage arbeiteten wir mithilfe eines 25 Tonnen schweren Anhängers. Aufgrund fehlender Sicherheitsvorkehrungen rollte der Laster über meinen rechten Unterschenkel. Drei Mitarbeiter kamen mir zwar sofort zur Hilfe, fielen jedoch beim Anblick meines Beins in Ohnmacht. Als ich sah, wie ein weiterer Mitarbeiter auf uns zugerannt kam, rief ich ihm zu – aus Angst, er könnte ebenfalls das Bewusstsein verlieren –, dass er einen Krankenwagen rufen solle. Als er, nachdem er den Anruf getätigt hatte, auf mich zukam, sagte ich ihm, er solle mir in die Augen schauen, um nicht meine Verletzung sehen zu müssen. Wie ich es in dem Zustand noch schaffte, klar zu denken und dem Mitarbeiter meine Allergien sowie die Telefonnummer meines Bruders zu nennen, ist mir bis heute rätselhaft. Vermutlich war es jedoch die Folge eines Adrenalinstoßes.

Wie kam es zu der Entscheidung, dein Bein amputieren zu lassen?
Zum Zeitpunkt meiner Entscheidung lag ich bereits elf Wochen im Krankenhaus. Der Unfall hatte nicht nur einen Knochenbruch mit sich gebracht, sondern mir auch den größten Teil meiner Muskeln und die gesamte Haut am Unterschenkel genommen. Nach mehreren Operationen und Transplantationen von Muskelmasse meines Rückens auf den Unterschenkel zeigte sich keine große Besserung. Dazu kam ein enormer Gewichtsverlust. Nach acht Wochen sah ich das erste Mal mein verletztes Bein, das mehr an einen Gyros-Spieß erinnerte als an einen Unterschenkel (lacht). Es war mir fremd.
Zudem wurden damals zum ersten Mal die Paralympischen Spiele im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Ich sah, wie geschickt sich die Athleten trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigung bewegten, unter ihnen waren auch Sportler mit Beinamputationen, die mich besonders beeindruckten. Drei Wochen später entschied ich mich dazu, mir mein Bein amputieren zu lassen. Die Ärzte hatten mir für die Zukunft ständige OPs in Aussicht gestellt, falls ich mich dazu entschied, mein eigenes Bein zu behalten. Das war keine Option für mich. Am Tag meiner Amputation fuhr ich zur Verwunderung einiger Bekannter lächelnd in den OP-Saal, da mir bewusst war, dass ich keine bessere Entscheidung hätte treffen können.

Hast du dich nach der Amputation schnell erholt?
Ja, ich wurde bereits vier Wochen nach der OP aus dem Krankenhaus entlassen und hatte auch danach keine größeren Beschwerden mit der Prothese.

Denkst du auch heute noch, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast?
Auf jeden Fall! Hätte ich diese Entscheidung damals nicht getroffen, würde ich vermutlich heute noch unter körperlichen Beschwerden leiden. Von solchen Geschichten hört man immer wieder, das tut mir dann leid für die Betroffenen.

Hast du Phantomschmerzen?
Ich persönlich finde die Bezeichnung „Phantomschmerzen“ eher unpassend. Die Nerv-Enden liegen jetzt bloß woanders. Manchmal spüre ich ein Kribbeln oder Jucken in dem Bereich, wo sich früher mein Unterschenkel befand, so wie man das manchmal auch bei Narben etc. hat. Gedanklich kann ich auch noch die Zehen an dem verlorenen Fuß spüren und bewegen.

Kannst du Sport treiben?
Dafür habe ich extra eine Sportprothese. Ich war auch früher immer sehr sportlich und auch den Sportleistungskurs bestand ich mit 1,0. Sport ist wohl etwas, womit ich nie aufhören werde. Auch heute besiege ich meine Freunde noch im Badminton (grinst).

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