Eine Leidenschaft mit Nachklang: Ein Tag bei der Deutschen Streicherphilharmonie

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Ihre Musik wird auf Konzerten, Festivals und CDs zu hören sein. Mehrmals im Jahr treffen sich die Nachwuchsmusiker zwischen elf Jahren und Anfang zwanzig der Deutschen Streicherphilharmonie zu Proben. Leonie Ndoukoun durfte die junge Musikerelite einen Tag lang bei den Proben begleiten.

Als ich an einem Morgen im Januar die Jugendherberge des überschaubaren Örtchens Ahrweiler bei Bonn betrete, ist es einen Moment lang ganz still und das Foyer zunächst menschenleer. Hier wird gleich eine Probe der Deutschen Streicherphilharmonie, kurz DSP – eines Streichorches-ters, bestehend aus Jugendlichen aus ganz Deutschland – stattfinden. Da laufen auch schon zwei Jugendliche mit Cello- und Geigenkasten auf dem Rücken an mir vorbei und verschwinden ins Treppenhaus. Keine Minute später kommt eine junge Frau schnellen Schrittes auf mich zu und stellt sich herzlich als Johanna vor. Sie macht unter der Leitung von Brigitte Baldes, welche die Gesamtleitung des Orchesters innehat und meinen Besuch ermöglicht hat, ein Freiwilliges Soziales Jahr im Organisationsteam und begleitet mich den Tag über. Schon im Treppenhaus hören wir ein harmonisches Durcheinander der verschiedenen Instrumente aus dem Proberaum. Sie werden bereits gestimmt und es wird noch die eine oder andere trickreiche Stelle geübt, bevor es tatsächlich losgeht. Ich suche mir einen Platz hinten im Raum. So überblicke ich das gesamte sechzigköpfige Orchester. Insgesamt hat die DSP zwar mehr als 100 Mitglieder, doch bei den einzelnen Probenphasen kann nicht jeder dabei sein. Sie setzt sich nämlich aus Jugendlichen aller Regionen Deutschlands im Alter von elf Jahren bis ins junge Erwachsenenalter zusammen. Sie werden entweder über ihre Musikschulen eingeladen oder bei Wettbewerben wie Jugend musiziert entdeckt und können sich dann durch ein Vorspiel qualifizieren. „Ja, der Anspruch ist schon hoch“, gibt Neumitglied Lennart (elf Jahre) zu, „aber man fühlt sich trotzdem sehr wohl hier.“ Insgesamt blicke ich in teils müde, aber glückliche und erwartungsfrohe Gesichter, die aufmerksam nach vorne auf den Dirigenten schauen, der gerade eingetroffen ist. Sofort wenden sich alle zu ihm und lassen die Instrumente verstummen. Wolfgang Hentrich ist seit 2013 als Chefdirigent der DSP mit Leib und Seele dabei. Er kommt nach einer kurzen Begrüßung mit Neujahrswünschen und einem Ausblick auf den Ablauf der Probe gleich zur Sache und beginnt die erste Tuttiprobe, das heißt eine Probe mit allen Instrumentengruppen zusammen, mit dem Hauptwerk: einer Streicherserenade (ein Orchesterstück mit mehreren Sätzen) von Josef Suk, welche neben weiteren Stücken mit Deutschlandfunk Kultur in Köln aufgenommen wird, wenn die Probenphase abgeschlossen ist.

Zeitaufwendige Proben während Schulzeit und Ferien

Bis dahin haben die Jugendlichen pro Tag ganze sechs Stunden Probe vor sich. Die ersten paar Tage bestehen aus sogenannten Registerproben, das heißt, es wird nach Instrumentengruppen getrennt geprobt, erst danach werden sie alle in den gemeinsamen Tuttiproben zusammengeführt. Eine Probenphase wie diese dauert unterschiedlich lang, in den Sommerferien können das schon mal drei Wochen werden, schließlich reist das Orchester auch viel herum und gibt an vielen Orten Konzerte. Da alle aus verschiedenen Bundesländern kommen, verpassen die Schüler unterschiedlich viel Unterricht. Puh, denke ich, sicher ganz schön zeitaufwendig. Kommt man überhaupt noch zu anderen Dingen neben einer so zeitaufwendigen und anspruchsvollen Leidenschaft? „Klar“, findet Konzertmeisterin Eliane, „es nimmt zwar viel Zeit in Anspruch, aber wenn man etwas unbedingt machen möchte, dann geht das schon.“ Es gehöre ja ein gewisser Ausgleich dazu. Trotz so viel Talent und Ehrgeiz wirken alle auf mich sehr bodenständig. Und trotz der vielen wachsamen Augen und Ohren während der Probe wirken die jungen Talente ganz entspannt und auf sich und die Musik konzentriert – ganz wie Profis eben. Denn nicht selten verlassen die Mitglieder der obersten Altersstufen als solche das Orchester und treten eine Laufbahn als Berufsmusiker an.

Vom DSP-Mitglied zum Berufsmusiker

Viele der Ehemaligen spielen heute in renommierten Orchestern wie dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin oder dem Metropolitan Opera Orchestra New York. Eine Karriere als Musiker strebt auch Christoph an, er ist mit 22 Jahren das ältes-te Mitglied der DSP und studiert bereits Cello. Für ihn hat die Zeit im Orchester den Ausschlag zu dieser Entscheidung gegeben. Auch Gioia (16) sieht in der DSP die Chance, sich über die spätere Berufswahl klarzuwerden. „Ich mag mich da jetzt noch nicht festlegen. Musik ist schon toll, aber ich denke ich, hab noch genug Zeit, zu gucken, was ich später mal machen will“, sagt sie zuversichtlich. „Also bei mir ist es andersherum gewesen – ich wusste vorher schon, dass ich Musik studieren möchte, und für mich ist das hier eher eine weitere Erfahrung, die man auf dem Weg dahin sammelt“, erzählt mir Timon. Er ist 19 Jahre alt und spielt Bratsche. Jeder hat also ein anderes Tempo, was Entscheidungen angeht, doch die sind ja auch nicht der Sinn und Zweck des Ganzen. Hier geht es um sehr viel mehr, nämlich um das, was all die jungen Musiker verbindet: die Liebe und Leidenschaft zur Musik. Gioia begeistert besonders, dass man richtig merkt, was man eigentlich alles zustande bringen kann. „Und was eben auch schön ist, ist, dass alle hier so drauf sind und jeder will, dass am Ende dann das Beste rauskommt“, ergänzt sie. Es ziehen also alle an einem Strang. Vielleicht macht gerade das die tolle Gruppendynamik aus. Wenn ich frage, ob sie sich von Anfang an in der Gruppe wohlgefühlt haben, bekomme ich immer ähnliche Antworten. Eva beispielsweise, die seit einigen Jahren Kontrabass spielt, hat zwar ihre Zweifel gehabt, ob sie gut genug ist, um dazuzugehören. Aber die waren wohl alle unbegründet: „Ich hab es von Anfang an als eine sehr schöne Gemeinschaft empfunden, in die man sehr schnell aufgenommen wurde.“ Und Gioia fasst zusammen: „Wir sind eigentlich wie eine Familie.“

Der Dirigent muss manchmal die Bremse betätigen

Schon nach wenigen Takten wiegt Wolfgang Hentrich sich im Takt des theatralischen Satzes, ein mildes Lächeln der Zufriedenheit auf den Lippen, die Augen mal wachsam umherschweifend, dann wieder genießerisch geschlossen. Doch dann winkt er plötzlich ab und das Orchester verstummt. „Wir sind noch nicht ganz beim Endtempo angekommen“, stellt er fest und lässt die Stelle wieder und wieder spielen. Wenn man die Musik so sehr liebt wie dieser Mann, dann lässt man nicht gleich locker, sondern arbeitet auch an kleinsten Details. Bis das Orchester sein volles Potenzial und dadurch die Musik ihr ganzes Wesen entfaltet. Doch nicht selten müssen die Jugendlichen sogar gebremst werden, wenn sie sich in ihrem jugendlichen Enthusiasmus, wie Hentrich es selbst nennt, zu sehr gegenseitig antreiben. Zwar macht genau diese Begeisterung das Besondere an der Arbeit mit jungen Musikern aus und ermöglicht unerwartete musikalische Höhepunkte – eine Art „Flow-Zustand, in dem einfach der Funke überschlägt“, wie er es später mit einem Leuchten in den Augen beschreibt –, er muss aber trotzdem manchmal die Bremse betätigen. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen über die überschäumende Energie der Jugendlichen erklärt er: „Einige Töne darf man nicht richtig spielen, sondern nur angucken.“ Allgemeines Schmunzeln, doch was er meint, ist angekommen.

Der Zuhörer wird an Orte der Sehnsucht und Nostalgie getragen

Hier werden jahrhundertealte Kompositionen, die manch einem vielleicht verstaubt oder veraltet vorkommen mögen, wieder zum Leben erweckt. Sie werden zu einem Dialog der Instrumente und formen einen Klangteppich, der den Zuhörer an Orte der Sehnsucht und Nostalgie hinfort trägt. Nur die kurzen Unterbrechungen (durch den Dirigenten oder einen der Dozenten) holen den Zuhörer zurück in das verschlafen wirkende Ahrweiler, in dem wir uns befinden. In den Proberaum der von nichts als kleinen Häusern und weiten Feldern umgebenen Jugendherberge dringen immerhin außer etwas Glockengeläut zur Mittagszeit keine störenden oder ablenkenden Geräusche. Trotz der entspannten Atmosphäre sind alle hoch konzentriert bei der Sache. Und so, wie ihre Bögen mit Leichtigkeit über die Instrumente hinwegzufliegen scheinen, so vergeht auch die Zeit bis zur Mittagspause wie im Flug. Doch sobald das Mittagessen vorbei ist, steuern einige der jungen Musiker auch schon wieder geradewegs den Proberaum an, und nach kurzer Zeit dringen neue Melodien durch die Gemäuer der Jugendherberge. Bald schon werden sie auch da draußen wieder gehört werden – sie werden Konzertabende und Festivals bestreiten und natürlich die neue CD einspielen, die bald erscheinen wird. Und es sind Töne, die noch lange nachklingen werden.

Info:

– Neugierig geworden? Auf Spotify sind bisher aufgenommene Alben der DSP als Stream verfügbar.
– Selbst mitmachen? Es finden immer wieder Probespiele statt. Auf musikschulen.de/dsp einfach über die neuen Termine informieren.

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