NSA – jetzt auch für zu Hause! Wahnsinnsapps für smarte Eltern

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Was haben wir bloß gemacht, bevor Apps uns das Leben erleichtert haben? Die Veränderung durch die smarten kleinen Progrämmchen ist mindestens so bedeutsam wie die Erfindung des Buchdrucks, die Entwicklung der elektrischen Waschmaschine und die Einführung der Wettervorhersage zusammen. Mit Hilfe der Oster-App sind wir endlich in der Lage, Eier zu kochen; Self-Tracking-Apps beweisen, dass wir nachts schlafen; und dank diverser Baby-Apps lernen unsere Kinder nach Jahrtausende währender Entwicklungsretardierung tatsächlich doch noch anständig sehen, greifen und sprechen. Da gibt es zum Beispiel die App „Smart Tot Rattle“ (was übersetzt so viel bedeutet wie „Rassel für schlaue Hosensch…“ – pardon, ein Teil meiner Übersetzung wurde von der „Endlich-fluchfrei-App“ gelöscht). Vor einem schwarz-weißen Hintergrund aus geometrischen Mustern bewegen sich einfache bunte Formen wie Sterne oder Kreise, und, das ist das Beste, das iPhone oder iPad vibriert dabei und macht Geräusche. Kaum zu glauben, fast wie eine echte Rassel, und dann auch noch mit Bild! Babys, so die bahnbrechende Erkenntnis (nachzulesen in der Beschreibung), brauchen Sinnesreize, damit sich ihre Gehirne entwickeln.

Dank der App müssen sich Eltern nun nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wo sie solche Reize herbekommen. Was haben die Eltern früher ackern müssen für ein paar magere Sinnesanregungen für ihre Kinder! Bis in die 2000er Jahre hinein haben viele weniger Privilegierte sie noch mühsam selbst gemacht. Es ist nur verständlich, wenn moderne Eltern voller Mitleid auf die vorherigen Generationen zurückblicken, die noch mit ihren Kinder reden und spielen mussten, womöglich ohne W-LAN-Verbindung! Mit der Aufbewahrungslösung „Buggy Tech Station“ aus dem Hause Diono können Eltern die neuesten Reize sogar bequem mit nach draußen nehmen: Tablet und Smartphone lassen sich so in der Tech Station verstauen, dass Baby und Kinderwagenschieber beide einen guten Blick auf den Bildschirm haben; so müssen sich Eltern und Kind auch unterwegs nicht mehr mit veralteten Landschaftseindrücken oder dergleichen begnügen. Dass Babys früher überlebt haben, grenzt ohnehin an ein Wunder. Woher um alles in der Welt wussten Frauen ohne Still-App, ob und an welcher Seite sie das Kind anlegen mussten?! Haben die das etwa einfach nach Gefühl gemacht? Aus heutiger Sicht ist das natürlich völlig fahrlässig; nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ein Baby aus Versehen die falsche Brust erwischt hätte! Dank „MyMedela“ oder „Still Log“ gehören Horrormeldungen von an der Brust verdursteten Kindern Gott sei Dank inzwischen der Vergangenheit an. Mit erweiterten Apps lassen sich darüber hinaus noch Schlafrhythmus und Stuhlgang des Kindes überwachen. Hoffentlich erhalten diese Apps bald auch Updates mit Fotofunktionen für den Farbvergleich von Häufchen, denn, wie ein pflichtbewusster bloggender Vater schreibt: „Um Kinderkrankheiten oder eventuelle Beeinträchtigungen frühzeitig zu erkennen, muss alles rund ums Baby genau dokumentiert werden. […] Mit der ,Baby ESP‘ App für Android kann man sich dies erleichtern. Man muss nicht mehr über alles Buch führen, sondern kann mit dem interaktiven Tagebuch jede Kleinigkeit im Alltag aufzeichnen.“ Doch immer noch tummeln sich unter den Eltern Ignoranten, die sich dem Segen der Technik verschließen; antwortet doch tatsächlich eine urbia.de-Foristin auf die Frage nach guten Still-Apps, man solle besser auf die Signale des Kindes hören, wenn es ums Stillen gehe, das Baby sei die beste kostenlose App! Aber Gefahr erkannt, Gefahr gebannt: Der gefährlich-reaktionäre Vorschlag wird von den anderen Foristinnen sofort als nutzlos entlarvt und abgestraft.

Übrigens: Auch für Babys von nicht stillenden Müttern ist Rettung in Sicht: Der Flaschenhalter „Baby Glgl“ ermittelt mit Hilfe von ausgefeilter Sensortechnik den optimalen Fläschchenneigungswinkel und misst, wie viel Flüssigkeit das Kind zu sich genommen hat (das Ablesen einer Milliliterskala auf dem Flaschenrand ist auch wirklich zu oldschool). Die Ergebnisse werden natürlich sofort ans Smartphone geschickt.

Fortschrittliche Eltern werden darüber hinaus von Anfang an auf Babyfon-Apps zurückgreifen, die ihnen die lückenlose Überwachung des Nachwuchses auch vom anderen Ende der Stadt aus ermöglichen. „Babyphone duo“ ist da zum Beispiel eine gute Wahl; mit der Voice-over-IP-Funktion kann man das Baby bequem aus der Distanz heraus beruhigen und muss nicht extra früher von der Party oder aus dem Kino weg. Natürlich kann man auch direkt per Video-Stream ins Kinderzimmer gucken. Diese App ist auch für größere Kinder geeignet und damit außerordentlich nachhaltig, wie auch die entsprechenden Werbebilder zeigen. Selbst im Schulalter kann man nachts noch überprüfen, ob der Sprössling die Hände über oder unter der Bettdecke hat. Das ist für Kinder ein tolles Training, müssen sie sich doch im Zuge ihrer sexuellen Sozialisation ohnehin irgendwann mit entsprechenden digitalen Angeboten und Möglichkeiten auseinandersetzen. Ein Kind, das von klein auf daran gewöhnt ist, in intimen Situationen beobachtet zu werden, ist sicher auch beim Cyber-Sex weniger verklemmt und läuft nicht Gefahr, irgendwelche anachronistische Bedürfnisse nach Privatsphäre zu entwickeln.

Wie gut, dass auch die Entwickler von Facebook keine Mühen scheuen, um Heranwachsende vor falschen Schamgefühlen und gefährlichen Geheimnissen zu schützen. „Scrapbook“ heißt die neue Funktion, die in den USA bereits implementiert ist und sicher bald auch für deutsche Facebookkonten verfügbar sein wird (sofern nicht mal wieder hinterwäldlerische Datenschützer und Schwarzmaler quertreiben). Eltern können nun die dreizehn harten Jahre bis zur Facebookreife ihrer Kinder überbrücken und ein digitales Fotoalbum für den Nachwuchs anlegen.

Auch ohne eigenes Profil können die Kinder auf den Scrapbook-Bildern eindeutig getaggt, also zugeordnet werden. Das Scrapbook mit den World-Press-Photo-Award-verdächtigen Bildern vom ersten missglückten Töpfchengang oder dem enttäuschten Gesicht beim Auspacken des Wollpullis zur Erstkommunion können Mutti und Vati gleich mit all ihren Freunden teilen. Wenn die Kinder dann endlich ein eigenes Profil anlegen dürfen, können sie dankbar auf die Vorarbeit ihrer Eltern zurückgreifen; welcher Teenager würde seinen Klassenkameraden nicht stolz die qualifizierten Kommentare von Tante Tine zu seiner verschnittenen Frisur zur Einschulung zeigen? Welche Gymnasiastin würde sich nicht mit den 36 Likes brüsten, die ihr Kindergartenfoto mit dem Schildkrötenkarnevalskostüm eingeheimst hat? Wäre doch toll, wenn sich das Scrapbook dann auch gleich mit den Aufzeichnungen aus dem Baby-ESP-Tagebuch verbinden ließe; dann hätten die Kinder bei ihrem Einzug in das eigene FB-Profil gleich eine vollständige Dokumentation ihres bisherigen Lebens, inklusive farblich sortierter Häufchenfotos.

App-Checker: Birgit Franchy/Bianca Sukrow
Text: Bianca Sukrow
Collage: Markus Jansen

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