Wohin mit dem Kind?

in Familienleben

Rechtslage für U3-Betreuung ändert sich.

„U3“ – nicht der neueste Stolz der Kriegsmarine, sondern das Flaggschiff der bundesdeutschen Familienpolitik. Beim sogenannten Krippengipfel 2007 verständigten sich Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Ziel: Alle Kinder, deren Eltern nicht ganztägig für die Betreuung zur Verfügung stehen können oder wollen, sollen schon für ihre Kinder unter drei Jahren Plätze in Kitas oder Tagespflegestellen bekommen. Um den Ausbau der Kitaplätze voranzutreiben, wurde ein Jahr später das Kinderförderungsgesetz KiföG beschlossen, das den Rechtsanspruch der Kinder auf die Förderung in einer Tageseinrichtung oder -pflegestelle festschreibt. Das bedeutet: Ab August 2013 können Eltern notfalls den Platz in einer entsprechenden Einrichtung einklagen. Im Mai 2007 beschloss der nordrhein-westfälische Landtag darüber hinaus das KiBiz, das Kinderbildungsgesetz. Das Gesetz soll gewährleisten, dass alle Kinder Zugang zu frühkindlicher Bildung haben. Für das Kindergartenjahr 2013/2014 stehen in NRW 144.883 Plätze in Kindertagesstätten und in der Kindertagespflege zur Verfügung, das heißt, dass gut 32 % aller unter Dreijährigen mit einem Betreuungsplatz versorgt werden können. Zuständig für die Betreuungsplätze sind die Kommunen. Die Stadt Aachen kann derzeit 2.183 U3-Plätze zur Verfügung stellen und liegt damit sogar leicht über über dem Durchschnitt. Trotzdem stehen derzeit rund 330 Kinder auf der Warteliste, für die zu Beginn des Kindergartenjahres 2013/2014 in Aachen voraussichtlich kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden kann.

Welchen Anspruch haben die Familien?

Ab August 2013 haben alle Kinder, die das erste Lebensjahr vollendet haben, bedingungsloses Recht auf einen Betreuungsplatz. Prinzipiell haben auch unter Einjährige Anspruch, dieser ist aber an Bedingungen geknüpft, z. B. die Berufstätigkeit der Eltern oder einen speziellen Unterstützungsbedarf. Mit der reinen Beaufsichtigung ist es allerdings nicht getan: Auch Bildung und Förderung der Persönlichkeit sind als Aufgaben von Kitas und Tagespflegeeinrichtungen im KiBiz festgeschrieben. Die Landesregierung hat es zur Aufgabe der Kommunen gemacht, möglichst schnell Kitaplätze für alle betreuungsbedürftigen Kinder anzubieten. Wie stark die Städte die Angebote ausbauen müssen, hängt von der Nachfrage ab. Einer Untersuchung des Ministeriums zufolge melden im Landesdurchschnitt ca. 33 % der Eltern Interesse an. In größeren Städten ist der Bedarf aber bedeutend höher als in ländlichen Gebieten. Solange aus personellen und räumlichen Gründen nicht alle Kinder, deren Eltern dies wünschen, in einer Kita unterkommen, sollen Kindertagespflegekräfte (Tagesmütter und -väter) einspringen. Die Stadt hat einen Vermittlungspool mit geeigneten Fachkräften eingerichtet.
In Aachen müssen Eltern, die mehr als 25.000 Euro im Jahr verdienen, sowohl für einen Kitaplatz als auch für die von öffentlicher Hand organisierte Kindertagespflege nach Einkommen gestaffelte Zuzahlungen leisten. Suchen sich die Eltern privat eine Tagesmutter oder einen Tagesvater, können die Beträge jedoch deutlich von den Zuzahlungen zu öffentlich geförderten Betreuungsangeboten abweichen, denn als Freiberufler sind Tageseltern in der Preisgestaltung frei. Auch wenn die Eltern aus anderen Gründen eine private Kita wählen, entfällt die Unterstützung durch die Stadt.

Kindertagespflege als Alternative zur Kita

Die Kindertagespflege ist nicht erst seit KiBiz und KiföG als Alternative zur institutionellen Betreuung von Kindern beliebt. Vom Gesetzgeber werden Kita-Betreuung und Kindertagespflege als gleichwertig eingestuft. Gerade für sehr junge Kinder ist die familienähnliche Tagespflege oft auch eine gute Wahl. Es ist jedoch von Einzelfall zu Einzelfall verschieden, wie gut ausgebildet und erfahren die Tageseltern sind. Einen Mindeststandard gibt es immerhin: Die Erlaubnis zur Kindertagespflege erhalten nur Kandidaten, die erfolgreich an einer 160-stündigen Qualifizierungsmaßnahme nach einem Curriculum des Deutschen Jugendinstituts teilgenommen haben. Die Erlaubnis berechtigt eine Tagesmutter bzw. einen Tagesvater dazu, bis zu fünf Kinder unter drei gleichzeitig zu betreuen. Vielerorts sollen aufgrund des Kitaplatzmangels auch sogenannte „Großpflegestellen“ bzw. LENA-Gruppen („Lernen und Erziehen nutzt allen“, ein Modell aus Mönchengladbach) eingerichtet werden, in denen bis zu neun Kinder von zwei bis drei Tagespflegekräften betreut werden dürfen. LENA-Gruppen sind an Kitas angeschlossen, so dass z. B. der Spielplatz oder die Sportanlagen der Einrichtung mitgenutzt werden können. Auch in Aachen sollen Plätze in Großpflegestellen angeboten werden, allerdings scheitert deren Einrichtung oft am angespannten Wohnungsmarkt. Geeignete Räume in Kita-Nähe sind kaum zu finden.

Betreuungszeit = Zeit für Förderung!

Doch nicht nur in Bezug auf die Organisationsform der Betreuung lässt das Gesetz Spielräume, es bleibt auch offen, auf wie viele Stunden Betreuung täglich die Kinder ein Anrecht haben. Können die Eltern keinen erhöhten Bedarf nachweisen (z. B. wegen Berufstätigkeit in Vollzeit), kann der Anspruch deshalb auch mit einem Halbtagsplatz hinreichend erfüllt werden. Quantitative Grenzen gibt es allerdings auch am unteren Ende der Skala. Bildung und Förderung der Persönlichkeit sind nämlich nur möglich, wenn die Kinder sich in die Gruppe integrieren, eine Beziehung zum Personal aufbauen und am pädagogischen Programm der Einrichtung teilnehmen können. Wollen Eltern die Kinder nur für wenige Stunden in der Woche betreuen lassen, ist dies also eventuell nicht mit dem gesetzlichen Anrecht ihrer Kinder auf frühkindliche Förderung vereinbar. Zwar sind Klagen der Kinder wohl eher nicht zu erwarten, die Kommunen könnten entsprechende Anträge aber mit dem Hinweis auf den Förderanspruch der Kinder ablehnen.

Andere Betreuungsformen? Eine Frage des Geldes

Trotz allem bleibt die Erziehungshoheit natürlich bei den Eltern. Sie können auf Kitaplatz und öffentlich bestellte Tagespflege verzichten und die Betreuung und Förderung ihrer Kinder privat organisieren. Das gilt auch für Empfänger von Arbeitslosengeld II: Sie sind nicht verpflichtet, ihre unter dreijährigen Kinder fremdbetreuen zu lassen, selbst wenn sie dann wieder arbeiten gehen könnten. Allerdings profitieren arbeitslose Eltern nicht vom Betreuungsgeld, umgangssprachlich „Herdpauschale“ genannt, das ebenfalls ab dem 1.8.2013 beantragt werden kann. Das Betreuungsgeld wird in voller Höhe auf ihre Bezüge angerechnet. Rechnen kann sich ein Betreuungsgeldantrag für die Eltern, die ihre Kinder aus Überzeugung lieber zu Hause betreuen möchten, die Sprösslinge in die Obhut von Verwandten geben können oder sich bereits für eine privat finanzierte Wunsch-kita oder -Tagespflegekraft entschieden haben. Ab dem 15. Lebensmonat des Kindes (bzw. im Anschluss an die Elternzeit) können Familien 22 Monate lang Betreuungsgeld beziehen, und zwar unabhängig davon, ob das Kind tatsächlich vom Antragsteller selbst betreut wird. Entscheidend ist, dass kein öffentlich geförderter Krippenplatz beansprucht wird. Ab August 2013 werden für privat betreute Kinder 100 Euro ausgezahlt, ab 2014 sollen es 150 Euro sein. Während Befürworter das Betreuungsgeld als Bereicherung elterlicher Wahlmöglichkeiten feiern, halten Kritiker es für ein Instrument zur Stabilisierung konservativer Rollenbilder.
Vor dem Hintergrund, dass es in Sachen U3-Betreuung noch etliche offene (Rechts-)Fragen gibt und die Deckung des Bedarfs in zahlreichen Kommunen in weiter Ferne liegt, erscheint die „Herdpauschale“ allerdings eher als Versuch, zumindest einen Teil der Eltern anderweitig zufrieden zu stellen und damit von einer Klage abzuhalten.

Was tut die Stadt?

Um möglichst viele Kinder unterzubringen, hat der Kinder- und Jugendausschuss der Stadt Aachen einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Die Plätze in der Kindertagespflege sollen aufgestockt werden, außerdem werden neue Kita-Gruppen in der Schagenstraße und in der GGL Kronenberg eingerichtet. Darüber hinaus werden bestehende Gruppen bis an die Grenzen des rechtlich Zulässigen überbelegt. Ermöglicht wird das unter anderem durch den sogenannten KiBiz-Korridor: Im Jahresmittel darf die Gruppengröße um bis zu 10 % erhöht werden, ohne dass sich hieraus Auswirkungen auf das Budget der Einrichtung ergeben. Je nach Gruppenform und Alter der Kinder können so Gruppenstärken von bis zu 22 Kindern zustande kommen. Darüber hinaus prüft die Stadt Aachen gemeinsam mit dem Landschaftsverband Rheinland, ob vorübergehend eine zusätzliche Erweiterung der Gruppengrößen zulässig ist.

Den Wunschkitaplatz einklagen?

Wer jetzt denkt, er müsse einfach nur kurzfristig Bedarf anmelden und werde dann in der Wunschkita mit offenen Armen empfangen, irrt. Erhalten Familien keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder, können sie ihn ab dem 1.8. einklagen. Aber: Der Anspruch bezieht sich nur auf das bestehende Angebot bzw. Plätze, die von den Kommunen kurzfristig neu geschaffen werden können. Kann die Stadt nachweisen, dass es ihr trotz ernsthafter Bemühungen nicht gelungen ist, genug Personal zu finden oder entsprechende Räumlichkeiten einzurichten, kann sie auch keine neuen Betreuungsplätze schaffen; eine Klage liefe ins Leere.
Dehnbar ist das Gesetz auch in Bezug auf die Wohnortnähe und die pädagogische bzw. konfessionelle Ausrichtung der Kitas. Zwar sollen Wünsche der Eltern berücksichtigt werden, Anspruch auf einen speziellen Kitaplatz haben sie aber nicht. Die Gründe hierfür sind zum Teil nachvollziehbar; nicht in jedem Dorf oder Stadtteil können alle Betreuungsvarianten angeboten werden. Eltern müssen sich deshalb in vielen Fällen mit Kompromissen zufrieden-geben, wenn sie auf die Betreuung ihrer Kleinkinder angewiesen sind. Eine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. ein längerer Fußweg gelten z. B. durchaus als zumutbar.

Allerdings hat die Zumutbarkeit Grenzen, und auch die Kommunen sind angehalten, sich flexibel und kompromissbereit zu zeigen und gemeinsam mit den Familien individuelle Lösungen zu suchen. Die Stadt Aachen hat zu diesem Zweck eine Hotline eingerichtet, die am 22. Juli freigeschaltet werden soll. Eltern sollten also immer zuerst das Gespräch mit den Vertretern der Kommunen suchen, bevor sie über eine Klage nachdenken. Sollte der Rechtsweg sich dennoch als einzige Möglichkeit herausstellen, den Betreuungsbedarf zu decken, ist die Stadt der Klagegegner, nicht die Kita oder Tagespflegestelle.

Wartezeitverkürzung in Aussicht

Immerhin: Die langen Wartezeiten sollen demnächst Geschichte sein. Beim dritten Krippengipfel sprachen sich Vertreter von Land, Kommunen und Elternbeirat für eine befristete Anmeldezeit aus. Allgemeiner Konsens der Gipfelteilnehmer: Innerhalb von sechs Monaten nach der Anmeldung sollen Eltern informiert werden, welchen Kitaplatz ihr Kind bekommt.

Im Gespräch ist auch eine zentrale Vergabe der Plätze, da Mehrfachanmeldungen, wie siederzeit aus der Not heraus von vielen Eltern praktiziert werden, zu Planungsunsicherheit bei allen Beteiligten führen. Sofern die Ergebnisse des Krippengipfels zeitnah in eine verbindliche Vorschrift münden, sind Vormerkungen bei der Wunschkita noch vor der Geburt des Kindes vielleicht bald obsolet.

Text: Bianca Sukrow | Foto: markusspiske / photocase.com

Links:

Rechtsgutachten des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht zum U3-Anspruch: http://www.dijuf.de/tl_files/downloads/2011/2012/DIJuF-Thesen_Rechtsanspruch%20U3_11-01-2013.pdf
DJI-Curriculum: http://www.dji.de/cgi-bin/projekte/output.php?projekt=839&Jump1=RECHTS&Jump2=5
Beschreibung der LENA-Gruppen: http://www.familie-in-nrw.de/2601.html
Ergebnisse des Krippengipfels 2013: http://www.nrw.de/landesregierung/ministerin-schaefer-stellt-ergebnisse-des-dritten-landeskrippengipfels-vor-14261/
Gesetzestext KiBiz: http://www.mfkjks.nrw.de/kinder-und-jugend/kibiz-aenderungsgesetz/kibiz.html
Gesetzestext KiföG: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gesetze,did=133282.html
Kita-Portal der Stadt Aachen: http://www.kitas.aachen.de/
FAQ des Bundesministeriums zum Thema Betreuungsgeld: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/themen-lotse,did=194624.html

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