Wo Flüchtlingsgeschichten Raum finden: Das Café Zuflucht

in Aktuelles um die Ecke

Das Café Zuflucht ist eine Aachener Beratungseinrichtung für Flüchtlinge und Asylsuchende. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge arbeiten hier ihre Fluchtgeschichte auf und erhalten Beratung in Sachen Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie Familienzusammenführung. Bianca Sukrow sprach mit Juliane Hoppe über motivierte Jugendliche, die Situation in Aachen und teils nur schwer nachvollziehbare Regelungen der Ämter, zum Beispiel wenn Jugendliche Monate warten müssen, um zu ihrer Familie weiterreisen zu dürfen, oder wenn mit 18 das Recht auf Familie einfach erlischt.

Für zahlreiche Flüchtlinge ist die Ankunft in Deutschland das – in manchen Fällen vorläufige – Ende einer Odyssee. Gerade in der Grenzstadt Aachen treffen viele Menschen ein, die sich durch ihre Flucht vor politisch, religiös oder ethnisch motivierter Gewalt gerettet haben, die Hunger, Krieg, Verfolgung oder Diskriminierung zu entgehen suchen. Darunter befinden sich immer wieder Minderjährige, die sich ohne Begleitung bis hierhin durchgeschlagen haben. Aber was geschieht mit den Kindern und Jugendlichen, die nach teils lebensgefährlicher Flucht in einem fremden Land stranden? „Das Verfahren bei unbegleiteten Minderjährigen unterscheidet sich von dem bei volljährigen Flüchtlingen“, erklärt Juliane Hoppe, die für das Projekt „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ des Café Zufluchts arbeitet. Das Café Zuflucht ist eine Aachener Beratungseinrichtung für Flüchtlinge und Asylsuchende. „Erwachsene werden in den meisten Fällen sofort in eine zentrale Erstaufnahmestelle weitergeleitet und von dort aus nach einem Vergabeschlüssel einer Kommune zugewiesen. Minderjährige Alleinreisende bleiben hingegen in der Stadt, in der sie registriert werden. In Aachen werden die Jugendlichen meistens von der Bundespolizei an der Grenze aufgegriffen und dann der Obhut des Jugendamtes übergeben.“

„Wer in Todesangst fliehen muss, sucht nicht noch erst nach seiner Geburtsurkunde.“

Die erste Station der jungen Flüchtlinge ist das Café Welcome, eine Erstversorgungsstelle in Burtscheid, die von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Helfern betrieben wird. „Das ist eine sehr gute Einrichtung“, sagt Juliane Hoppe. „Seit es das Café Welcome gibt, ist der ganze Ablauf viel unbürokratischer. Die Jugendlichen müssen nicht mehr in Jugendamtfluren sitzen und warten, sondern können sich erst einmal ausruhen; es gibt Duschen, sie bekommen Kleidung und Essen. Außerdem haben sie dort Ansprechpartner, denen sie sich anvertrauen können. Mitarbeiter des Jugendamtes kommen dann direkt dorthin, um die Altersfeststellung zu machen.“ Denn die meisten der jungen Flüchtlinge kommen ohne Papiere ins Land: „Wer in Todesangst fliehen muss, sucht nicht noch erst nach seiner Geburtsurkunde. Oft verbieten auch die Schleuser den Flüchtlingen, Pässe oder andere Unterlagen mitzunehmen. Viele, die hier ankommen, besitzen nur das, was sie am Leib tragen“, erklärt Juliane Hoppe. Die Mitarbeiter des Jugendamtes versuchen in solchen Fällen, anhand anderer Anhaltspunkte zu bestimmen, ob der Flüchtling noch minderjährig ist, somit Anspruch auf Jugendhilfe und Schulbildung hat und vorerst vor Abschiebung geschützt ist. Die Jugendamtsmitarbeiter befragen die Jugendlichen und beurteilen, ob deren Angaben plausibel erscheinen.

Ist die Minderjährigkeit des Flüchtlings festgestellt, beginnt das sogenannte Clearing-Verfahren, ein Paket aus Zustandsbestimmung, Bedürfnisanalyse und praktisch-organisatorischen Maßnahmen. Die Jugendlichen bekommen einen Vormund und einen Betreuer, außerdem wird ihr Unterstützungsbedarf ermittelt: Liegen behandlungsbedürftige Krankheiten oder Verletzungen vor? Benötigen die Jugendlichen psychotherapeutische Begleitung? Welche Sprachkenntnisse und welchen Bildungsstand besitzen sie? Darüber hinaus wird für Unterbringung gesorgt. Wenn sie Glück haben, bekommen die Jugendlichen einen Platz in einer stationären Einrichtung, also einem Kinderheim oder einer speziellen Wohngruppe. Da aber im Jahr 2014 weitaus mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Aachen aufgelesen worden sind, als vorauszusehen war, wohnen etliche der Minderjährigen nun in Hotelzimmern, wo sie ambulant betreut werden. „Für die meisten ist die stationäre Unterbringung viel besser. Hier ist immer jemand für sie da ist“, stellt Juliane Hoppe fest. „Sie bekommen dann zum Beispiel auch Hilfe, wenn sie nachts Angst haben. Einige wenige bevorzugen aber sogar das Hotel: Das sind meistens Kinder, die sich schon in ihrer Heimat jahrelang alleine auf der Straße durchgeschlagen haben, viel Entscheidungsfreiraum gewohnt sind und es gar nicht mehr kennen, dass sich jemand um sie kümmert. Aber das sind Ausnahmen.“

Auch für Beschulung und Sprachunterricht wird gesorgt. „Das kann allerdings dauern. Nach den Sommerferien sieht es meistens ganz gut aus und die Kinder bekommen schnell einen Platz, aber es gibt auch Phasen, in denen einfach keine Kapazitäten mehr vorhanden sind. Dann müssen die Jugendlichen warten, manchmal mehrere Monate lang, obwohl sie deutschen Minderjährigen gleichgestellt sind und der Schulpflicht unterliegen. Das Gleiche gilt für die Anerkennungsverfahren. Manche Flüchtlinge haben drei Monate nach ihrem Interview den Bescheid, ob ihr Asylantrag angenommen oder abgelehnt wird, andere warten bis zu zweieinhalb Jahren. Bei einigen läuft zufällig alles glatt, und andere haben gleich in mehrerlei Hinsicht Pech. Aber versuchen Sie mal, einem 16-Jährigen zu erklären, dass es nichts mit seiner Person oder dem Stand des Verfahrens zu tun hat, wenn er im Hotel wohnen muss, nicht beschult wird und monate- oder jahrelang in Unsicherheit lebt, ob er abgeschoben wird – erst recht, wenn er sieht, dass es bei anderen viel einfacher geht. Die haben einen unglaublichen Hunger nach Bildung, nach kultureller und sozialer Teilhabe, wenn sie hier ankommen, aber vielen nimmt die dauerhafte Unsicherheit jeden Antrieb. Oftmals sagen die Jugendlichen, es lohne sich nicht, sich etwas in Deutschland aufzubauen; zu groß sei der Schmerz, alles wieder zu verlieren.“ Die unklaren Aussichten führen für die Jugendlichen auch zu Nachteilen bei ihrer beruflichen Entwicklung; so zögern manche Arbeitgeber aufgrund des ungesicherten Aufenthaltstitels, ob sie einem Flüchtling einen Ausbildungsplatz anbieten sollen – obwohl dem rein rechtlich nichts im Wege steht.

Juliane Hoppe berät die Jugendlichen in Sachen Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie Familienzusammenführung, erklärt ihnen, welche Behörde für was zuständig ist, und versucht, das komplizierte Verfahren transparent zu machen. Allerdings fällt es schon geschulten Muttersprachlern schwer, sich durch die entsprechenden Gesetzestexte und interpretationsbedürftigen Regelungen zu kämpfen. Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, die dazu führen, dass die jungen Leute auch nach ihrem achtzehnten Geburtstag im Land bleiben dürfen; das Asylverfahren und das Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Um als asylberechtigt zu gelten, müssen die Flüchtlinge bestimmte, eng gefasste Voraussetzungen erfüllen; dazu gehört, dass sie in ihrer Heimat politisch, religiös oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden und keine Möglichkeit haben, Hilfe von ihrem Staat zu bekommen – z. B. weil die Verfolgung von den Behörden selbst vorangetrieben wird oder weil die Diskriminierung im politischen System begründet liegt.
Wer zum Beispiel fürchtet, in seinem Herkunftsland aus Blutrache umgebracht zu werden, gilt normalerweise nicht als asylberechtigt, kann aber unter bestimmten Vorzeichen einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen bekommen. „Das ist, als würde man den Leuten sagen: ‚Dein Leben war halt nicht hart genug‘ oder ‚Du wirst zu Hause nicht aus dem richtigen Grund ermordet‘. Es ist für Nichtjuristen kaum nachvollziehbar, warum die eine Art von Verfolgung als Asylgrund ausreicht und die andere nicht. Bürgerkrieg wird zum Beispiel nur als ‚allgemeine Notsituation‘ betrachtet“, erklärt Juliane Hoppe.

„Einige Flüchtlinge haben in ihrer Heimat oder auf der Flucht schlimme Erfahrungen mit Behördenvertretern gemacht.“

Um einen dauerhaften Aufenthalt für ihre jugendlichen Schützlinge zu erreichen, ist es wichtig, dass von vorneherein das richtige Verfahren gewählt wird. Es ist deshalb unerlässlich, dass die Jugendlichen ihre Fluchthintergründe so exakt wie möglich rekonstruieren. Dazu gehört auch, dass sie eine Chronologie der Ereignisse erstellen: „Die Kinder haben aber oft gar nicht genug Überblick über die politische Situation im Land, um das alles so genau anzugeben. Sie verdrängen auch viel, oft entscheidungsrelevante Details. Und manche kommen aus einem Umfeld, in dem ein anderes Zeit- und Raumkonzept herrscht als bei uns. ‚Das ist so weit, wie man in einem halben Tag auf dem Esel kommt‘ ist ein Beispiel für eine Distanzangabe. Wir bereiten die Fluchthintergründe mit den Jugendlichen auf, so dass sie sie zusammenhängend erzählen können und keine wichtigen Angaben vergessen. Ein wesentlicher Faktor hierbei ist Geduld und Verständnis, denn oft brauchen die Flüchtlinge lange, bis sie genug Vertrauen gefasst haben, dass sie von ihren Erfahrungen erzählen“, beschreibt Juliane Hoppe ihre Arbeit. Bei der Asylanhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Düsseldorf werden die Flüchtlinge einer „Glaubwürdigkeitsprüfung“ unterzogen und manchmal mehrere Stunden lang befragt. Sie müssen den Grund für ihre Ausreise darlegen, die Situation in ihrem Heimatland schildern und detailliert berichten, wie ihre Flucht  verlaufen ist. „Es gibt zwar inzwischen speziell geschulte Beamte, aber diese Anhörungen sind für die Jugendlichen trotzdem sehr belastend. Wenn sie nicht gut darauf vorbereitet sind, verstummen sie zum Teil oder verzetteln sich“, erzählt Juliane Hoppe. „Manche können ohnehin kaum über das reden, was ihnen auf der Flucht passiert ist; vor fremden Bundesbeamten fällt ihnen das natürlich noch schwerer.“ Einige Flüchtlinge haben in ihrer Heimat oder auf der Flucht schlimme Erfahrungen mit Behördenvertretern gemacht und haben Angst vor Repressalien. „Ein Problem ist auch die Sprachbarriere“, fügt Juliane Hoppe hinzu. „Viele Jugendliche sprechen noch nicht gut genug Deutsch, um bei so einem Interview präzise Angaben zu machen. Es gibt dann zwar Dolmetscher, aber die sind nicht alle gleich gut. Manchmal sprechen die Jugendlichen einen speziellen Dialekt, den der Dolmetscher nicht genau kennt. So ähnlich, als würde ein Deutscher Schwytzerdütsch übersetzen; da gehen nicht nur Feinheiten verloren. Wir schärfen allen Jugendlichen ein, Dolmetscher abzulehnen, wenn es Verständigungsschwierigkeiten gibt. Aber das hat sich bis jetzt noch kein einziger bei der Anhörung getraut. Sie erzählen uns das dann im Nachhinein, aber wenn der Antrag einmal abgelehnt ist, wird es ungleich schwieriger, egal woran es im Einzelnen lag. Dann gibt es oft nur noch den Klageweg.“ Wenn alles gut geht, bekommen die Jugendlichen zuerst eine befristete und in einem weiteren Schritt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis – die Voraussetzung dafür, dass sie sich um ihre Einbürgerung bemühen können. Aber bis dahin vergehen oft viele Jahre.

Mit 18 erlischt das Recht auf Familie – einfach so.

Obwohl sie ständig mit schlimmsten Schicksalen konfrontiert ist und sich immer wieder mit der Unbeweglichkeit diverser Behörden herumschlagen muss, macht Juliane Hoppe ihre Arbeit gerne. „Was mich allerdings jedes Mal wieder zur Verzweiflung bringt, ist die Willkür, die wir hier erleben. Ein Beispiel ist die Familienzusammenführung. Wenn ein Flüchtling mit 16 den Antrag stellt, bei positivem Bescheid aber schon 18 ist, erlischt sein Recht auf Familie; einfach so. Es gilt nicht das Datum der Antragstellung, sondern das des Bescheids. Ein anderer hat mehr Glück, erwischt einen umtriebigen Sachbearbeiter und kann seine Eltern und minderjährigen Geschwister nachholen. Das ist wie Lottospielen, aber hier geht es um das Leben von Menschen! Zur ‚Kernfamilie‘, also dem Personenkreis, der ein Recht auf Zusammengehörigkeit hat, gehören übrigens nur verheiratete Eltern und minderjährige Kinder. Von einer Familie mit fünf Kindern dürften dann alle nachkommen, nur die 18-jährige Schwester nicht“, erzählt Juliane Hoppe. Sie wünscht sich in allen Phasen des Verfahrens einen verständnisvollen, gerechten Umgang mit den Flüchtlingen und eine Vereinfachung des zum Teil absurd umständlichen Procederes: „Es kann doch nicht sein, dass in manchen Fällen der illegale Weg der ist, der dem Kindeswohl zuträglicher ist. Wir hatten hier zwei ähnlich gelagerte Geschichten: Ein Jugendlicher wollte gerne zu seiner Familie, die inzwischen einen Aufenthaltsstatus in Schweden hatte. Es hat ein Dreivierteljahr gedauert, bis das geregelt war und er endlich zu seinen Eltern durfte. Was der Junge in dieser Zeit verpasst hat, familiäre Zuwendung, Spracherwerb in Schweden, Integrationschancen, ist nicht wiedergutzumachen. Ein anderer Jugendlicher wollte seiner Familie nach Norwegen nachreisen. Anstatt den offiziellen Weg zu gehen, ist er einfach untergetaucht. Nach drei Tagen meldete er sich über ein soziales Netzwerk und schrieb, er sei gut bei seinen Eltern angekommen. Es ist unübersehbar, dass hier einiges an den Strukturen geändert werden muss.“

Wenn Menschen die Arbeit von Juliane Hoppe und ihren Kollegen unterstützen möchten, sind sie im Café Zuflucht herzlich willkommen. Für die derzeit ca. 450 minderjährigen Flüchtlinge gibt es gerade einmal 1,5 Stellen; ohne Ehrenamtler, die bei der Aufbereitung von Fluchtgeschichten helfen, wäre die Arbeit nicht zu schaffen.


Links zum Thema:

http://www.diakonie.de/
http://www.proasyl.de/
http://www.bamf.de/
http://www.ggua.de/

Bleibe immer auf dem Laufenden

Ich will nichts verpassen und möchte wöchentlich den kostenlosen KingKalli-Newsletter erhalten und über aktuelle Themen und Termine auf dem Laufenden gehalten werden.

Ich bin damit einverstanden, den Newsletter zu erhalten und weiß, dass ich mich jederzeit problemlos wieder abmelden kann.

Hinterlasse einen Kommentar