Weichenstellungen 2013

in Aktuelles um die Ecke

Bürger entscheiden am 10. März 2010 über das Projekt Campusbahn mit

Campusbahn ja oder nein? Braucht Aachen die Straßenbahn, die über eine Strecke von 12 Kilometern von Brand über Melaten bis zum Aachener Klinikum führt und rund 230 Millionen Euro kostet? Am 10. März 2013 hat in Aachen jeder Wahlberechtigte ab 16 Jahren die Möglichkeit, seine Stimme abzugeben.

Am 19. Dezember 2012 hat sich der Rat der Stadt Aachen mit großer Mehrheit für den Bau der Campusbahn ausgesprochen. Da das  Thema unter den Bürgern der Stadt aber durchaus kontrovers diskutiert wird und die Bürgerbewegung „Campusbahn – Größenwahn“ mit einer Unterschriftenliste gegen das Projekt kämpft, wurde gleichzeitig ein Ratsbürgerentscheid beschlossen. Das bedeutet: Jeder wahlberechtigte Aachener ab 16 Jahren kann über das Projekt mitentscheiden, indem er dafür oder dagegen stimmt. Somit liegt die Verantwortung bei den Bürgern. Kommen 10 % der Wahlberechtigten für Pro oder Contra zusammen, so ist dieses Votum entscheidend. Werden die erforderlichen rund 18.000 Stimmen für eine Seite nicht erreicht, so zählt das Ja des Rates.

Aber worum geht es überhaupt genau? Veranstaltungen im Vorfeld sollen den Aachenern helfen, ihre Meinung zu bilden. So war die Infoveranstaltung zur Aachener Campusbahn im Super C der RWTH im Dezember auch sehr gut besucht. Unter den rund 400 Besuchern der von neutralen Ausrichtern organisierten Diskussion fanden sich aktive Aachener alle Altersstufen ein, so auch viele Studenten und sogar ein ganzer Erdkunde-LK des Einhardt-Gymnasiums. Auch die jungen Besucher verfolgten gespannt die Ausführungen der Befürworter und Gegner der geplanten Straßenbahn und hatten keine Scheu, Fragen zu stellen oder eigene Anmerkungen einzubringen.

Warum eine Straßenbahn?

Laut Regina Poth, Geschäftsführerin der Campusbahn GmbH, sind in den letzten Jahren die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr deutlich gestiegen.
Durch geändertes Mobilitätsverhalten, vor allem bei jungen Nutzern, ist seit den 80er Jahren eine ständige Zunahme der Fahrgäste zu beobachten. Während die ASEAG 1999 noch 57 Mio. Fahrgäste beförderte, waren es 2011 rund 65 Mio. Nirgendwo in Deutschland werden so viele Menschen mit einem reinen Bussystem befördert. Vor allem auf den Hauptachsen kommt es deswegen inzwischen zu Kapazitätsengpässen.
Michael Carmincke, Vorstand der ASEAG, die sich als Betreiber der Campusbahn an dem Projekt beteiligen möchte, bestätigt: „Verkehrstechnisch sind wir an der Grenze.“

Archivbild aus dem Jahre 1969: Das alte Straßenbahnnetz in Aachen, das 1974 stillgelegt wurde, zählte damals zu den bestausgebauten der Bundesrepublik. Foto: Sammlung Bimmermann

Bahn und Strecke

In einer 30 Meter langen Bahn können 200 Menschen transportiert werden. Da die Bahn auf einer Trasse fährt, kommt sie viel schneller voran als Autos und Busse.

Die geplante Strecke von Aachen-Brand über Melaten bis zum Aachener Klinikum liegt in einem sehr dicht besiedelten Gebiet. Für die direkten Anwohner würde sie die Lebensqualität durch sauberere Luft und weniger Lärm steigern. An der Strecke wohnen in einem Einzugsradius von 800 Metern pro Haltestelle rund 120.000 Anwohner, die die Bahn nutzen könnten, das ist etwa die Hälfte der Bevölkerung Aachens.

Für Mütter mit Kinderwagen oder Behinderte ist die Tram durch einen niveauausgeglichen, Einstieg einfacher zu erklimmen als ein Bus. Auch die Antriebsenergie ist ein Schritt in die postfossile Zukunft: Die Campusbahn fährt mit Strom. An der Trasse können auch Elektrobusse aufgeladen werden. Außerdem soll es Schnellladestationen für Elektroautos geben sowie Verleihstationen für Pedelecs (Elektrofahrräder). Somit sehen die Befürworter der Campusbahn das Projekt auch als einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Elektromobilität in der regionalen Verkehrsinfrastruktur.

Die Sorgen der Anwohner an der Trierer Straße über lange Baustellenzeiten kann Regina Poth am Beispiel von Düsseldorf entkräftigen. In sieben Tagen können 500 Meter Gleise verlegt werden. In Streckenabschnitten mit unterirdisch fertigem Rohrsystem werde man also schnell vorankommen.

Machbarkeitsstudie

Professor Dr.-Ing. Dirk Vallée vom Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen war an der Machbarkeitsstudie für die Campusbahn beteiligt. Sorgfältig wurde die Situation der überfüllten Busse analysiert und der Frage nach Alternativen nachgegangen. Mehr Busse können auf den entsprechenden Strecken nicht eingesetzt werden.

Auch Alternativen wie Magnetbahn oder Seilbahn wurden angedacht und durchgerechnet. Ergebnis aller Untersuchungen: Eine Stadtbahn ist der Schlüssel und die wirtschaftlichs-te Lösung für Aachen. Dabei orientierte sich die Planungsgruppe auch an anderen erfolgreichen Modellen aus Städten wie Reims und Straßburg, die mit großem Erfolg Straßenbahnen wieder eingeführt haben.

Was kostet die Campusbahn?

Die Trasse soll 130 Millionen Euro kosten. 80 bis 90 % davon tragen Bund und Land.
Die Züge kommen laut Planung auf 54-63 Millionen und der Betriebshof auf 24 Millionen. Mit ein paar weiteren Ausgaben liegt die Gesamtsumme bei 230 Millionen Euro, wovon der Kostenanteil für die Stadt Aachen 130 Millionen Euro beträgt.
In den kommenden Jahren müsste die Stadt damit 4 bis 6,5 Millionen Euro jährlich für die Campusbahn aufwenden. Darin enthalten sind sowohl laufende Kosten als auch Zins und Tilgung der Gesamtinvestition.

Frankreich erlebt seit einiger Zeit eine Renaissance der Straßenbahn. In zahlreichen Städten wurde die Tram wieder eingeführt, so wie hier in Le Mans. Foto: IngolfBLN

Befürworter

Renommierter Befürworter der Campusbahn ist Prof. Dr. Heiner Monheim, der einer Aachener Unternehmerfamilie entstammt und heute an der Uni Trier arbeitet. Der Verkehrswissenschaftler und Geograph Monheim nutzte als Kind selbst noch die alte Straßenbahn in Aachen. Das damalige Netz war das zweitgrößte in Deutschland. In den 60er Jahren wich es jedoch mehr und mehr dem zunehmenden PKW-Strom, bis die Bahn 1974 schließlich gänzlich zurückgebaut wurde.

Ein großer Fehler, laut Monheim, der sich seitdem für die Wiedereinführung einsetzt. So waren auch in den 90er Jahren schon einmal die Weichen für ein neues Staßenbahnnetz in Aachen gestellt worden. Durch den politischen Wechsel bei den Kommunalwahlen von 1999 in Aachen wurde die Idee jedoch wieder verworfen. CDU und FDP ließen das Projekt Stadtbahn damals in der Schublade verschwinden.

Monheim verwies auf Beispiele wie etwa Freiburg, wo die Straßenbahn behalten und erweitert wurde und wo weitaus weniger Autos in der Innenstadt verkehren.
Die Aachener Pläne zum Bau der Campusbahn betrachtet er als reizvolle und gut durchdachte Chance für die Stadt, die die Möglichkeit bietet, moderne Elektromobilität in mehreren Stufen einzuführen.

Initiative „Campusbahn – Größenwahn“

Dipl.-Ing. Maximilian Slawinski macht sich vorallem um die Kosten der Bahn Sorgen. Er ist Gründer der Initiative „Campusbahn – Größenwahn“ und hat 9.000 Stimmen gegen die Campusbahn gesammelt. Damit wäre der Weg für einen Bürgerentscheid geebnet, der nun jedoch nicht nötig ist, da der Rat der Stadt bereits den Ratsbürgerentscheid angesetzt hat.
Slawinski sieht durch die Campusbahn eine verantwortungsvolle Kommunalpolitik gefährdet. Er mahnt dazu, mehr Geld für Erziehung, Pflege, Bildung und Sauberkeit in der Stadt auszugeben.

Die anstehenden Kosten könnten in die Höhe schnellen und den Haushalt der Stadt überforden, fürchtet er. Auch die Tatsache, dass derzeit nur eine Linie fest geplant ist, sieht er als Nachteil. Die Busse würden dann Zubringer, die Fahrgäste müssten öfter umsteigen und damit wären auch die Vorteile für Behinderte oder Mütter mit Kinderwagen nicht mehr gegeben.

Kann sich die Stadt die Bahn leisten?

Bei der Infoveranstaltung im SuperC: Rebeccas Erdkunde-LK ist großteils für die Campusbahn. Kritisch sieht der Kurs z. B., dass derzeit nur eine Linie geplant ist. Lisa (rechts) arbeitet neben der Schule bei der Lebenshilfe. Sie hat Schwierigkeiten, mit den Behinderten überfüllte Busse zu besteigen, und wünscht sich die Campusbahn.

Dipl.-Ing. Gisela Nacken, Beigeordnete der Stadt Aachen, rechnet vor, warum sich die Stadt Aachen die Campusbahn leisten kann.
Die Mehrbelastung von 4 bis 6,5 Millionen Euro im Jahr sind nur 0,85 % des städtischen Haushaltes von 700 Millionen Euro.
Ebenfalls 4 Millionen fließen zum Beispiel derzeit in den Ausbau von Kitas und Schulen.
Richtig sei auch, dass der jährliche Haushalt im Moment jährlich um ca. 30 Millionen überschritten werde. 15 Millionen Euro werden derzeit noch für den Aufbau Ost ausgegeben. Diese Summe wird allerdings ab 2019 wieder frei.

„Die Campusbahn ist nicht das Problem,“ so Gisela Nacken. Professor Monheim bestätigt: „Die Wissenschaft hat nicht nur Aachen im Blick – europaweit ist es so, dass Stadtbahnen den Haushalt sichern.“

Verkehrsexperte Monheim mahnt dazu, weiterzudenken und nicht beim Hier und Heute Schluss zu machen. Das Gutachten aus Aachen bezeichnet er als „bestes in Deutschland“, man habe sich auch bei den Zahlen an Obergrenzen orientiert, gibt auch Nacken zu bedenken. Auch ein Gutachter im Auftrag der IHK Aachen – die sich am 16. Januar für die weitere Planung der Campusbahn ausgesprochen hat – hat das städtische Kalkulationsmodell der Campusbahn bestätigt.
Monheim ermuntert die Verantwortlichen in Aachen, sich nicht gegenseitig auszuspielen, sondern alle Trümpfe gemeinsam zu nutzen.

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Vorher müssen jedoch die Bürger entscheiden, wo es langgeht. Sollte es ein Pro für die Campusbahn geben, müssen sich die Befürworter noch ein wenig gedulden. Die erste Linie wird erst 2019 fertiggestellt werden.
Bei einer Umfrage der Stadt unter ca. 500 Bürgern gaben über 80 % der Befragten an, sich an der Abstimmung am 10. März beteiligen zu wollen. Wie auch immer die Aachener Bevölkerung dann entscheiden wird – auch junge Wähler ab 16 dürfen abstimmen: Es wird eine grundlegende Weichenstellung im ÖPNV der nächsten Jahrzehnte in Aachen werden.

Alle Infos:
www.campusbahn-aachen.de
www.campusbahn-grössenwahn.de

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Eine neue Tram für Reims

Die neue Straßenbahn in Reims: Die Frontpartie der neuen Wagen ist einem Sektkelch nachempfunden – Reims liegt schließlich in der Champagne

In Frankreich erlebt die Straßenbahn bereits seit Mitte der 80er Jahre ein eindrucksvolles Comeback. In zahlreichen Städten wurden neue Tramlinien geplant und gebaut, so etwa in Nantes, Bordeaux, Nizza, Straßburg und auch in Aachens Partnerstadt Reims.

Die Tramway de Reims eröffnete im April 2011 nach ca. drei Jahren Bauzeit. Auf dem gut 11 Kilometer langen Straßenbahnnetz verkehren zwei Linien. Insgesamt wurden 23 Haltestellen eingerichtet, in deren Einzugsbereich etwa 70.000 Menschen wohnen. Auch in Reims gabe es Anfang der 90er Jahre bereits schon einmal einen – ebenfalls erfolglosen – Versuch, die Straßenbahn wiederzubeleben, und auch vor dem neuen Bau gab es Vorbehalte, etwa von Seiten der Einzelhändler, konservativer Parteien sowie der Gewerkschaft der Busfahrer.

Insgesamt wurden für den Bau der Straßenbahn und die begleitenden städtebaulichen Maßnahmen 338 Millionen Euro investiert.

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