Wiedereröffnung Capitol in Aachen: Ganz schönes Kino

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Fast ein Jahr ist vergangen, seit im Capitol klammheimlich die Lichter ausgegangen sind. Nach weniger als sechsmonatiger Bauphase hat die Cineasten-Familie Stürtz ebenso klammheimlich ein neues Kino-Kleinod in Anlehnung an die  50er Jahre geschaffen.

Fast wäre der Termin an uns vorbeigegangen: Die Wiedereröffnung des Capitols am Seilgraben in Aachen wurde von der Betreiberfamilie Stürtz nicht an die große Glocke gehängt. Ein eher zufälliges Telefonat verschaffte mir die spontane Einladung, der ich dann ebenso spontan mit meinem 14-jährigen Sohn nachgekommen bin. Wir machen uns pünktlich auf den Weg, denn wir haben uns vorgenommen, alles genau anzuschauen und hatten im Vorfeld doch die Befürchtung, es könne sehr voll werden. Als wir uns um 19:30 Uhr dem stilvoll illuminierten Gebäude mit seiner denkmalgeschützen Fassade aus dem Jahre 1958 nähern, ahnen wir aber schon, dass die Besucherschar überschaubar bleiben wird, denn wir sind noch fast alleine.

Capitol | Foto: Birgit Franchy

Das Foyer wirkt direkt einladend und heimelig. Auf den alten roten Kinoklappstühlen an der Wand warten zwei Damen auf ihre Begleitung, die cremefarbene Wandfarbe harmoniert hervorragend mit dem Stoff der Stühle sowie mit den Wandpanelen aus Holz. In der Ecke steht eine Schirmchenlampe aus den 50ern, an den Wänden Bilderrahmen mit Filmrezensionen aus alten Zeitschriften.

Wir entscheiden uns, als erstes unsere Jacken zu unseren Sitzen im Hauptsaal zu bringen. Die Wände des runden Gangs, der zum Hauptsaal führt, die vor der Übernahme noch in grell abgesetzem rot und grün gestrichen waren, sind wie das Foyer cremefarben gehalten und mit alten Filmmotiven aus Zeitschriften dekoriert, dazwischen hängen alte Wandlämpchen aus Messing mit Glasschirmchen – Originale aus dem alten Gloria in Alsdorf, die die Familie Stürtz vor vielen Jahren gerettet und eingelagert hat.

Wer den Hauptsaal zum ersten Mal betritt, wird sich ein begeistertes Raunen nicht verkneifen können. 41 große gemütliche Sessel in Mintgrün, arrangiert an kleinen hölzernen Nierentischen, auf denen kleine LED-Leuchten stehen, befinden sich im Bereich unter der Empore, davor leicht erhöht ein Podest mit Stehtischen und Hockern, die an den großzügigen Thekenbereich anschließen. Die Vorderfront der Theke ist mit gestepptem grünen Stoff bezogen und indirekt beleuchtet, was einfach wunderbar aussieht. Das Personal ist heute schwarz-weiß gekleidet, alles wirkt edel und perfekt aufeinander abgestimmt. Wir legen kurz unsere Jacken ab und machen uns auf zu einem Rundgang durchs Haus, bevor wir gleich an die Bar zurückkehren wollen.

Auch im Treppenhaus passt alles, ein wunderbarer Originalleuchter mit 12 Birnen schmückt die Decke. Auf der Empore sind die Sitzplätze auch in mintgrün gehalten, jedoch von anderer Machart. Nicht ganz so großzügig angeordnet passen hier rund 80 Stühle auf die Empore. Das besondere Bonbon: Die Rückenlehnen lassen sich verstellen. Wir setzen uns hin: Ja, sehr bequem! Die Aussicht nach unten ist ebenfalls beeindruckend, fast wie im Film! Dennoch möchten wir lieber unten in den großzügigen Sesseln sitzen. Jetzt aber erstmal an die Bar!

Currywurst im Glas
Currywurst im Glas

Hier finden wir die Barhocker vielleicht einen Tick zu niedrig, aber das kann unserer guten Laune keinen Abbruch tun. Wir haben uns vorgenommen, einen ausgiebigen Test vorzunehmen, also suchen wir auch etwas aus der Karte aus: Currywurst im Glas für meinen Sohn und zwei alkoholfreie Cocktails. Während wir warten, studiere ich die Karte genauer. Popcorn und Nachos sucht man hier vergeblich, dafür findet man für den kleinen Hunger exklusive Terrinen-Kreationen wie „Delice Bündner Räucherforelle“ oder „Leckeres im Weckglas“ wie eben die Berliner Currywurst.
„Sehr, sehr, sehr lecker“ ist das Urteil meines jugendlichen Begleiters, eines Currywurst-Kenners und sehr kritischen Essers. Ich lasse mich nötigen, zu probieren. Der Geschmack ist genau richtig bis vorzüglich. Walnüsse geben der Soße eine kernige Note, man möchte nichts davon übriglassen, was wir dann auch nicht machen.
Die Cocktails sind sehr frisch und fruchtig und ebenfalls genau richtig. Dass zwei Cocktails und eine Portion Wurst im Glas knapp 20 Euro kosten, nimmt man eingelullt von Jazz und Filmmusik der 50er Jahre in diesem Ambiente gerne in Kauf.
40 Minuten hat der Besucher hier schon vor dem Filmbeginn Zeit, es sich an der Bar gut gehen zu lassen. Wenn der Film beginnt, nimmt man jedoch seine Sessel ein. Mit nerviger Produktwerbung bleibt man hier glücklicherweise verschont, lediglich einige aktuelle Filmtrailer werden vor dem Hauptfilm eingespielt. In dieser Phase wird auch noch an den kleinen Tischen bedient. Zwischen Trailern und Hauptfilm gibt es eine weitere zehnminütige Pause, in der man nochmals bestellen oder die Toilette aufsuchen kann, ohne sich vorher peinlich berührt durch volle Reihen quetschen zu müssen.
Apropos Toilette: Das stille Örtchen wurde keinesfalls beim stilvollen Design ausgespart. Nein, hier hat man sich besonders lang Mühe gegeben, hängende Spülkästen im Stil der 50er aufzutreiben. Alle Details wurden in enger Absprache mit dem Amt für Denkmalschutz abgestimmt und bis hin zur Notbeleuchtung aus alten Beständen besorgt, oder – im Falle der Spülkästen – angefertigt, um Funktion und Optik optimal zu vereinen, wie Moritz Stürtz im persönlichen Gespräch erläutert. Bei der Ausgestaltung der Kinos spielen nicht nur die Herren Stürtz eine große Rolle, nein, gerade Ulrike Stürtz, die Ehefrau von Inhaber Leo Stürtz und Mutter der dritten Generation der Kinobetreiber, denen auch Moritz Stürtz angehört, beweist hier ein sicheres Händchen. Bei der Auswahl der Farben und Accessoires ist sie immer ausschlaggebend beteiligt und hat schon im Eden-Palast, der auch von der Familie betrieben wird, großes Geschick bewiesen.

Bevor der Film losgeht ist Leo Stürtz im Einsatz. An den kleinen Tischen im unteren Saal erklärt er allen Besuchern, wie die LED-Lämpchen zu dimmen sind. Da er das aber nicht bei jeder Vorstellung machen wird, zieht er in Erwägung, einen kleinen Trailer zu drehen, der den Gebrauch erläutert. Der heutige Abend ist auch als Testlauf gedacht, wo geschaut werden soll, ob es noch hier und da einen Haken im Konzept gibt.
Wir trauen uns jedenfalls nicht an unser Lämpchen – zu groß ist die Angst, dabei etwas von den Getränken umzuwerfen und möglicherweise die edlen Sessel zu bekleckern. Ich nehme mir vor, mich am nächsten Tag zu erkundigen, ob sich der Stoffbezug auch reinigen lässt.

Viel Beinfreiheit
Viel Beinfreiheit

Vor dem Film haben wir uns gefragt, wie wohl der Blick auf die Leinwand ausfallen würde und ob die Besucher sich nicht im Weg sitzen, denn der Boden ist nicht abgeschrägt. Dafür sind die Stühle, die extra in Italien angefertigt wurden laut Moritz Stürtz leicht schräg, ohne aber beim Besucher eine Gefühl des Schiefsitzens zu erzeugen. Auch die Damen hinter uns haben kein Problem, über meinen über 1,85 m großen Begleiter hinwegzublicken, denn die Leinwand befindet sich erhöht in einer großen Nische hinter der Bar. Und mit der Beinfreiheit gibt es hier auch keine Probleme, es ist sogar noch jede Menge Spielraum vorhanden.
In Sachen Blick, Filmbild, Akkustik und Gemütlichkeit haben wir also rein garnichts auszusetzen und amüsieren uns köstlich bei „Monsieur Claude und seine Töchter“.
Ein wirklich gelungener Abend, über den wir auch am kommenden Tag schwärmen – wir haben auf jeden Fall beschlossen, wieder zu kommen.

In Anbetracht der Detailverliebtheit ist es erstaunlich, dass der Familienbetrieb Stürtz die Pläne zum Umbau erst in diesem Sommer geschmiedet hat.
Am 29. Dezember 2013 war die letzte Vorstellung unter den Betreibern Coenen und Render über die Leinwand gegangen. Das Kino ließ sich zu dem Zeitpunkt nicht mehr rentabel betreiben, zumal die Technik veraltet war und hohe Investitionen erfordert hätte. Mit dem Verkauf an die Familie Stürtz gelangte ein weiteres Kino in den Besitz der Familie, die seit fast 90 Jahren zwei Kinos in Alsdorf sowie das Cineplex in Aachen und den Edenpalast betreibt.
Mit der Planung ließ sich die Familie ein halbes Jahr Zeit und schaute sich genau um, was es derzeit für Konzepte gibt. Nach dem Besuch des Zoopalast in Berlin war im Sommer dann klar, dass man sich an einem Loungekino im Stil der 50er Jahre versuchen will. Der jetzt entstandene Saal mit Bar vor der Leinwand sucht dabei laut Moritz Stürtz in Deutschland seinesgleichen, wenngleich natürlich Paralellen zum früheren Diana-Kino mit Theke im hinteren Bereich augenscheinlich sind.

In Punkto Programm haben sich Stürtzens noch nicht ganz festgelegt. Geplant ist eine Mischung ähnlich wie sie im Eden läuft. Schwerpunkt soll der Europäische Film sein. In Richtung Arthouse oder Programmkino soll es aber nicht gehen. Angesprochen sind Menschen, die einfach einen schönen Abend in stilvollem Ambiente jenseits des großen Kinobetriebes verbringen möchten. Am Freitag und Samstag können sie auch nach dem Film noch länger an der Bar verweilen, da es täglich nur eine Abendveranstaltung gibt.
Natürlich kostet das alles auch etwas mehr als in den anderen Häusern, so ist für ein normales Ticket 14 Euro fällig. Bis sich das Kino rentiert wird es bei einer Investitionssumme von rund 11.000 Euro pro Platz trotzdem ein Weilchen dauern, da ein großer Teil der Ticketpreise an die Filmverleiher geht. Unglaublich auch, dass in diesem Kino jetzt nur noch 120 großzügige Plätze vorhanden sind, wo im Jahre 1958 noch 400 enge Holzklappstühle zum Filmeschauen eingeladen haben.

Und der Stoffbezug lässt sich selbstverständlich gut reinigen, niemand muss also besorgt sein, wenn er sein Getränk verschüttet. Und wir sind trotzdem heilfroh, dass wir nicht die ersten waren.

Infos: www.capitol-aachen.de

Fotos: Birgit Franchy

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