Der Krebs im Bauch

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Esther Tulodetzki erkrankte im Alter von 28 Jahren an Krebs. Für ihre Nichte, in deren Familie sie während der Behandlungsphase vorübergehend wohnte, entwarf sie das Buch „Das ist Krebs“, das im Winter 2011 erschien. Birgit Franchy traf die junge Frau heute und erhielt berührende Einblicke in die Wichtigkeit des Zusammenhalts in der Familie, den Umgang von Kindern mit schweren Erkrankungen von Familienangehörigen und in das, was Erkrankte mit Freunden und anderen Menschen erleben.

Als Esther Tulodetzki mit einem kleinen Tumor im Gebärmutterhals ins Krankenhaus eingewiesen wird, ist sie guter Dinge, es soll sich um einen Routineeingriff handeln. Nur zu 0,0001 % der Fälle habe der Krebs bei einem Tumor in diesem kleinen Stadium schon gestreut, wird sie beruhigt.
Esther soll zu diesen 0,0001 % gehören.

Als die Familie zu Besuch kommt, hat Nichte Lucy ein Bild gemalt, Esther nimmt es entgegen und bricht weinend zusammen. Als die Nichte sie verständnislos anstarrt, habe sie gemerkt, dass ein Kind das nicht versteht: „Sie hat mir etwas Schönes geschenkt und ich heule.“ Schon da habe sie das Bedürfnis gehabt, es für die Kinder so zu erklären, dass es o. k. für sie ist – dass sie mit der schweren Erkrankung umgehen können. Sie habe nach Büchern gesucht, aber diese endeten alle mit dem Tod, da  habe sie gedacht: „Moment mal! Da sind wir doch noch nicht!“, und habe bereits ein schnelles persönliches Büchlein für die Nichte zusammengestellt, das diese nüchtern entgegennimmt; stolz, nun informiert zu sein.

„Als ich dann aus dem Krankenhaus kam, habe ich als erstes die Krankenkasse angerufen“, berichtet sie. Und war selber erstaunt, wie gut sie dort angenommen wurde. „Ich habe sofort eine eigene Rehabilitationshelferin an die Seite gestellt bekommen, an die ich mich nun immer wenden sollte, wenn es Fragen gab. Sie schickte mir direkt Infomaterial und DVDs zum Thema und wies mich darauf hin, dass ich begleitend zur medizinischen Versorgung das Recht auf eine psychologische Begleitung habe.“
Auf die Heftigkeit von Chemotherapie und Bestrahlung ist Esther Tulodetzki dennoch nicht vorbereitet.
Sie hatte ihre beste Freundin gebeten, in der ersten Woche bei ihr zu Hause zu übernachten, damit sie nicht alleine ist. Bereits nach einer Nacht schmeißt diese jedoch das Handtuch, möchte mit der Krankheit nicht konfrontiert werden.
Esther bittet ihre Schwester Iris, sie in ihren Haushalt aufzunehmen.
Iris lebt mit Mann und den Kindern Mika (2) und Lucy (5) in einer Hausgemeinschaft, alle erklären sich bereit, Esther in der Phase der Therapie zu unterstützen.
Die Heftigkeit der Chemos wirft die junge Frau im wahrsten Sinne des Wortes um. Die meiste Zeit kann sie eigentlich nur liegen, schafft es nicht, mit den Kindern zu spielen oder auch nur aufzustehen, um sich etwas anzuschauen. Manchmal kann sie noch nicht einmal mehr sprechen.

„Musst du jetzt sterben?“, fragt dann auch Lucy einmal am Frühstückstisch. Esther Tulodetzki empfindet das als befreiend, ist stolz auf ihre Nichte und findet es gut, dass dies auch einfach so ausgesprochen wird. In der ganzen Familie herrscht ein offener, ja teilweise humorvoller Umgang mit dem Thema und Esther fühlt sich wohl in der Umgebung.
Auch wenn sie nur liegen kann, ist sie froh, nicht alleine zu sein, hört gerne die Kinder, die  oft in ihrer Nähe spielen wollen und die jeden Morgen zum Kuscheln – oder Hüpfen – in ihr Bett kommen.
Auch an den Tagen, die sie im Dämmerzustand verbringt, denkt sie immer wieder: „Um mich herum geht das Leben weiter“, und genießt das Gefühl.
Nach drei Wochen ist sie von der Therapie so geschwächt, dass sie mit dem Gedanken spielt, jede weitere Behandlung abzulehnen, erwägt, eher dem Tod ins Auge zu sehen, als sich dieser Prozedur weiter auszuliefern.
In dieser Zeit stehen ihre Schwester und ihre Eltern ihr hilfreich zur Seite, auch der Lieblingsonkel und seine Frau schalten sich ein, drei Monate lang sind beide jedes Wochenende zur Stelle, um Esther in ihrer eigenen Wohnung zu betreuen. Während der Woche ist sie weiterhin im Haushalt der Schwester versorgt.
„Während dieser Zeit habe ich so viel Besuch, Geschenke und Post bekommen wie noch nie im Leben“, berichtet Esther von der Anteilnahme von Freunden und Bekannten. Trotzdem ist es für sie schwer, mit allen Reaktionen klarzukommen. „Mindestens zwei Bekannte haben mich ernsthaft gefragt, ob das ansteckend ist“, wünscht sie sich mehr Aufgeklärtheit. Am meisten gestört haben sie jedoch die unzähligen – gutgemeinten – Tipps wie „ernähre Dich gesund“ oder „warum hast du nicht mit Rauchen aufgehört“ sowie zahllose „Frauenmagazinweisheiten“. Darauf hätte sie lieber verzichtet.
Als die 3-monatige Therapie erfolgreich beendet ist, braucht Esther Tulodetzki ein weiteres Jahr, um wieder auf die Beine zu kommen. Öfters muss sie noch Freunde anrufen, die sie irgendwo auflesen, weil sie sich bei Spaziergängen übernommen hat und keine Kraft mehr hat weiterzulaufen.
Und Lucy? Wie hat das Kind das intensive Erleben der Krankheit bewältigt?

„Als ich auf dem Wege der Besserung war, war das Thema für Lucy dann auch weitestgehend abgehakt“, resümiert Esther Tulodetzki. Die Nichte sei stolz gewesen, das Vokabular von „Krebs“ über „Chemotherapie“ bis „Bestrahlung“ zu beherrschen. Sie gehe recht abgeklärt damit um, wenn das Thema in Bezug auf andere Erkrankte noch einmal aktuell wird. „Ja, meine Tante hat das auch gehabt“.

Lucy, die selber bald 12 wird, schmunzelt sogar, wenn sie an die Zeit vor 6,5 Jahren denkt: „Bevor Esther mir das Buch gemacht hat, hab ich tatsächlich geglaubt, da wohnt ein Krebs in ihrem Bauch.“

 

Anlaufstellen

Leben mit Krebs am ECCA
Information, Beratung, Unterstützung
Dr. med. Andrea Petermann-Meyer
apetermann-meyer@ukaachen.de
c/o Klinik für Onkologie, Hämatologie, Stammzelltherapie
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
www.lebenmitkrebs-aachen.de

Krebsberatungsstelle
Lütticher Straße 10
52064 Aachen
0241 474880
www.krebsberatungsstelle.de

PAKT e. V.  –  Psychosoziale Hilfe bei Ambulanter KrebsTherapie
Andrea Schotten in der hämatoonkologischen Praxis W8
Weberstraße 8 | 52064 Aachen
0241 9900550 oder 02408 145-7555 (AB)
http://pakt-aachen.de

Frau Elke Mainz in der Praxis Dr. med. A. Petermann-Meyer
Schwerpunktpraxis Psychoonkologie
Annastraße 58-60 | 52062 Aachen
0241 4006790
mainz@pakt-aachen.de
Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin berät Familien, in denen ein Mitglied an Krebs erkrankt ist.

Buchtipp:
Das ist Krebs | Esther Tulodetzki | Verlag: atp Verlag, 2011

Gebundene Ausgabe: 28 Seiten
9,80 Euro

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